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Mehr Selbstbestimmung für indonesische Arbeitsmigrantinnen

4,5 Millionen Indonesier:innen leben als Arbeitsmigrant:innen im Ausland. Die meisten von ihnen, insbesondere Frauen, arbeiten als Hausangestellte in Privathaushalten, oftmals unter prekären Bedingungen. In Hongkong finden einige von ihnen Zuflucht und neue Perspektiven in der Notunterkunft von Vivi Wangka.

Sara Ryser
Vivi Wangka und ihre Mitarbeiterin vom Rechtsberatungsdienst verteilen im Hongkonger Victoria Park Visitenkarten und erklären den Hausangestellten, in welchen Fällen sie bei ihnen Unterstützung erhalten. Quelle Foto: Mission 21

Asiens Wirtschaftsboom der letzten Jahrzehnte hat eine Schattenseite: Aufgrund fehlenden Einkommens und mangelnder Zukunftsaussichten suchen viele Indonesierinnen und Indonesier eine Beschäftigung in den reicheren Nachbarländern, beispielsweise in Malaysia, Hongkong, Taiwan, Korea, Singapur oder im Nahen Osten. Allein in Hongkong arbeiten rund 380 000 ausländische Hausangestellte, über vierzig Prozent von ihnen stammen aus Indonesien. Hinter den glänzenden Fassaden der lebendigen Metropolen verbergen sich jedoch allzu oft Ausbeutung, Missbrauch sowie körperliche und geschlechtsspezifische Gewalt. Vorurteile gegenüber Ausländer:innen und Armen, Geschlechterstereotype sowie der Mangel an Bildung erschweren die Situation der Wanderarbeiterinnen. Nur wenige von ihnen kennen ihre Rechte und können sich bei Missbrauch, Ausbeutung oder sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz verteidigen oder Hilfe suchen.

Arbeiten unter sklavereinähnlichen Bedingungen

Weil die Aufenthaltsbewilligung der Wanderarbeiterinnen in Hongkong an ihre Anstellung als Hausangestellte geknüpft ist und sie keine andere bezahlte Arbeit annehmen dürfen, sind sie ihren Arbeitgeber:innen oft schutzlos ausgeliefert. «Manchmal unterbinden die Arbeitgeber:innen sogar den Kontakt der Hausangestellten zu ihren Familien oder grundsätzlich zu Personen ausserhalb des Haushalts. Einige sind in der Tat sklavereiähnlichen Bedingungen ausgesetzt», sagt Vivi Wangka, die in Hongkong im Auftrag von Christian Action, der Partnerorganisation von Mission 21, eine Notunterkunft für geflüchtete Hausangestellte leitet. Sie ist selbst Indonesierin und begann ihre Arbeit im Center for Migrant Domestic Workers 2013 im Rahmen eines von Mission 21 organisierten Süd-Süd-Austausches. Die 16 Betten in ihrer Notunterkunft sind dauernd belegt, im Durchschnitt bleiben die Frauen für 155 Tage. Die Beratungsstelle von Christian Action wird sogar von etwa 7000 Frauen jährlich aufgesucht. Als Indonesierin, die selbst nach Hongkong migriert ist, versteht Vivi Wangka gut, mit welchen finanziellen und kulturellen Herausforderungen die Frauen konfrontiert sind. Auch deswegen ist es für die ehemaligen Hausangestellten einfacher, sich ihr anzuvertrauen.

Eine Frau, die 2019 im Center Zuflucht fand, berichtete Vivi Wangka, dass sie kein Mobiltelefon besitzen durfte und dass der Arbeitgeber ihren Reisepass, ihren Arbeitsvertrag und ihren Hongkonger Personalausweis konfisziert hatte. Sie durfte das Haus nie ohne ihren Arbeitgeber verlassen und hatte nie Urlaub, obwohl dies gesetzlich vorgeschrieben wäre. So konnte sie niemandem ausserhalb des Haushalts berichten, dass sie bei der Verrichtung der Hausarbeit eine Überwachungskamera tragen musste, nur auf dem Wohnzimmerboden schlafen durfte und täglich körperlicher Gewalt ausgesetzt war.

Da die Hausangestellten oft die Hauptverdienerinnen ihrer Familie sind, ertragen viele von ihnen diese menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen viel zu lange. Doch selbst wenn sich die Hausangestellten aus ihren prekären Arbeitsverhältnissen befreien können, landen sie meistens arbeitslos in einem fremden Land auf der Strasse. In der Notunterkunft werden die Wanderarbeiterinnen dabei unterstützt, ihre Rechte durchzusetzen und Gerechtigkeit zu erlangen. Vivi Wangka ist froh um jede Hausangestellte, die den Weg in ihre Unterkunft findet: «In unserem Frauenhaus finden die Betroffenen endlich den nötigen Schutz sowie psychologische und medizinische Hilfe, juristische und wirtschaftliche Unterstützung. Wir helfen ihnen auch, die durch den Arbeitgeber erlittenen Misshandlungen bei der Polizei anzuzeigen.»

Von der Notunterkunft zur Selbstbestimmung

Nach der akuten Unterstützung in der Notsituation bietet das Center auch Bildungsangebote sowie Unterstützung bei der Arbeitssuche oder bei der Rückkehr und Reintegration ins Heimatland. Mittel- und langfristig geht es darum, die Frauen wirtschaftlich zu stärken und sie über ihre Rechte aufzuklären. Das oberste Ziel von Vivi Wangka und ihrem Team ist es, den Frauen eine unabhängige Zukunft zu ermöglichen. «Wir unterstützen die Frauen von der Emergency- bis zur Empowerment-Phase», erklärt Vivi Wangka.

Doch die Lage der Migrantinnen ist sehr verstrickt: Im Hintergrund aller Entscheidungen steht die Armut in der Heimat und das Wissen, dass die Familie zu Hause auf ihre Zahlungen angewiesen ist. Deswegen ist ein wichtiger Pfeiler der Arbeit von Mission 21 und ihren Partnerorganisationen die Präventionsarbeit in den Herkunftsländern. Durch gezielte Sensibilisierungsarbeit informiert Mission 21 potenzielle Migrantinnen über die Risiken der Arbeitsmigration. Der ganzheitliche Ansatz zielt darauf ab, Frauen bereits in ihrer Heimat über die Realitäten der Arbeitsmigration aufzuklären und ihnen alternative Perspektiven aufzuzeigen. Dazu unterstützt Mission 21 in Indonesien auch Projekte ihrer Partnerorganisationen zur Förderung von Bildung und Einkommensmöglichkeiten und setzt sich auf politischer Ebene für den besseren Schutz von Arbeitsmigrantinnen und von Opfern häuslicher und sexueller Gewalt ein.

Dank der Unterstützung im Center von Christian Action erkennen die ehemaligen Hausangestellten, dass sie ihre Zukunft selbstbestimmter gestalten können. Sie entscheiden sich für unterschiedliche Wege: Einige finden Arbeit in einem anderen Sektor oder bei einem neuen Arbeitgeber, einige kehren in ihr Heimatland zurück und einige gründen in ihrer Heimat eigene Unternehmen.

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