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Den Dreifach-Nexus pragmatisch angehen

Der Nexus zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung ist in der internationalen Zusammenarbeit längst zu einem Leitprinzip geworden. Um einen tieferen Einblick zu gewinnen, was dieser Dreifach-Nexus in der Praxis bedeutet, liess Unité in einer Studie seine Anwendung innerhalb der Unité-Mitgliedorganisationen und deren Partner im Globalen Süden untersuchen.

Sara Ryser
Nachdem zwei verheerende Hurrikane Ende 2021 viele Häuser an der Atlantikküste Nicaraguas zerstört hatten, bündelte AMCA die Kräfte mit lokalen Partnerorganisationen und einem Schweizer Netzwerk, um den Wiederaufbau der betroffenen Häuser zu unterstützen. Foto: AMCA

Dr. Oliver Jütersonke verfügt über langjährige Erfahrung als Dreifach-Nexus-Spezialist für Organisationen der internationalen Zusammenarbeit, staatliche Behörden und die Zivilgesellschaft. Für Unité war es eine Bereicherung, ihn für die Erstellung dieser Studie zu gewinnen, die auf einer umfangreichen Dokumentenanalyse, Fragebögen und ausführlichen Interviews mit Befragten aus unseren Netzwerken basiert. Im folgenden Interview erläutert er die wichtigsten Konzepte, Ergebnisse und Empfehlungen der Studie.

Können Sie uns eine kurze Definition des Dreifach-Nexus geben?

Oliver Jütersonke: Der Dreifach-Nexus bezieht sich auf die Verbindungen zwischen den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung. Im Wesentlichen geht es darum, diese drei Programmbereiche stärker aufeinander abzustimmen, insbesondere da sie in zunehmend komplexen Kontexten vermehrt parallel arbeiten. Er ermutigt die Organisationen, besser aufeinander zu achten – nicht unbedingt, um Mandatsgrenzen zu verwischen oder genau dieselben Ziele zu verfolgen, sondern um sich besser zu koordinieren, die Kohärenz zu verbessern und auf Komplementaritäten aufzubauen. Dies erhöht auch die Effizienz und Wirksamkeit ihrer Unterstützung.

In Ihrer Studie plädieren Sie für mehr «Nexus-Denken» und «konfliktsensitives Programm-Management».

Der Begriff «Nexus-Denken» betont, dass die Arbeit der verschiedenen Akteure in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Friedensförderung in den heutigen langwierigen Krisen Teil eines grösseren Puzzles ist. In einem von Konflikten betroffenen Umfeld, das von Massenvertreibungen und zunehmend extremen Wetterereignissen geprägt ist, kann man nicht einfach «traditionelle» Entwicklungszusammenarbeit betreiben.

In diesem Zusammenhang ist Konfliktsensitivität sozusagen der Klebstoff, der die Puzzle-Teile zusammenhält. Sie veranlasst uns zu fragen: Wie verhalten sich die Interventionen meiner Organisation zu denen anderer Akteure im gemeinsamen Umfeld? Die Analyseinstrumente des konfliktsensitives Programm-Managements können uns dabei helfen, die richtigen Fragen zu stellen – und einfache, alltägliche Wege zu finden, um sie in der Praxis anzugehen.

Dr. Oliver Jütersonke
Dr. Oliver Jütersonkes thematische Expertise umfasst die Bereiche Gouvernanz im Sicherheitssektor, Stabilisierung, sozialer Zusammen­halt, dauerhafte Lösungen für gewaltsam vertriebene Menschen, Nexus­Programmierung und Kon­fliktsensitivität – mit einem päda­gogischen Schwerpunkt auf ange­wandten Forschungskompetenzen, Vorausschau und strategischer Antizipation, organisatorischem Ler­nen sowie der Entwicklung und Durchführung innovativer Mentoring­ Initiativen für Praktiker:innen. Foto: Oliver Jütersonke

Heisst das, Sie plädieren für die systematische Integration von konfliktsensitivem Programm-Management in Entwicklungsprogramme und -projekte? Würde dies nicht den administrativen Aufwand unverhältnismässig erhöhen, der vor allem für kleinere NGOs ohnehin schon eine Herausforderung ist?

Die meisten Geberorganisationen – darunter auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) – fordern seit langem das Mainstreaming von konfliktsensitivem Programm-Management, dies ist also kein neues Thema. Es steht oft neben anderen Querschnittsthemen wie «niemanden zurücklassen», Geschlechtergerechtigkeit sowie der Berücksichtigung des Dreifach-Nexus – und ja, für kleinere Organisationen kann dies anfangs überwältigend sein.

In der Studie schlage ich vor, diese Themen nicht getrennt zu betrachten, sondern als miteinander verbundene Bereiche, die sich gegenseitig stärken können. Noch wichtiger ist, dass sie nicht bloss als Berichterstattungspflichten betrachtet werden, die ein- oder zweimal im Jahr erledigt werden müssen, um die Anforderungen der Geber:innen zu erfüllen. Im Gegenteil: eine konfliktsensitive Denkweise lässt sich auf allen Ebenen einer Organisation in die tägliche Arbeit integrieren.

Wenn einfache Konfliktanalyseinstrumente in Teamsitzungen oder regelmässige Situationsberichte integriert werden, fördert dies bereits «Nexus-Denken». Ein Akteur-Mapping erstellen, trennende und verbindende Faktoren identifizieren, darüber nachdenken, wie die eigene Arbeit mit jener der anderen in den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung interagiert, das alles sind keine komplizierten oder besonders aufwändige Unterfangen.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

Eine der zentralen Erkenntnisse ist, dass Konfliktsensitivität häufig bereits praktiziert wird, vor allem von Mitarbeitenden vor Ort, Einsatzleistenden und lokalen Partnern. Sie ist nur oft nicht formalisiert oder wird nicht explizit als solche bezeichnet. Auf Nachfrage waren die Befragten in der Lage, reichhaltige, detaillierte Berichte über die Konfliktdynamik zu liefern, in der sie sich bewegen. Diese situationsbezogenen Überlegungen werden jedoch selten als «konfliktsensitives Programm-Management» oder «Arbeit im Dreifach-Nexus» eingeordnet und nicht systematisch in Programmplanungs- oder Berichtsdokumenten festgehalten. Ein lokaler Partner kann zum Beispiel eng mit humanitären Akteuren zusammen, um Überschwemmungsopfer zu unterstützen, oder verlässt sich auf religiöse Führer, um Familienstreitigkeiten zu schlichten – doch wenn man ihn nach dem «dreifachen Nexus» fragt, antwortet er vielleicht einfach: «Noch nie davon gehört». Ein grosser Teil der wertvollen, für den Nexus relevanten Arbeit wird darum gar nicht erst erfasst oder nicht ausreichend gewürdigt.

Deswegen weist die Studie auch darauf hin, dass die Berichterstattungspraxis angepasst werden muss, um diese Beiträge auf Mikroebene besser widerzuspiegeln. Viele der aufgedeckten Themen beziehen sich auf SDG 16 (friedliche, gerechte und inklusive Gesellschaften), aber nur wenige der Mitgliedsorganisationen von Unité berichten systematisch über dieses Ziel.

Und welche Empfehlungen lassen sich daraus ableiten?

Die Studie vermeidet bewusst formale «Empfehlungen» und stellt stattdessen eine Reihe von bescheidenen praktischen Massnahmen vor. Zu den wichtigsten gehört die Aufforderung, regelmässige Akteur-Mappings und grundlegende Situationsanalysen in die alltäglichen Organisationsabläufe zu integrieren. Wie bereits erwähnt, erfordert Konfliktsensibilität keine zeitaufwändigen oder datenintensiven Übungen. Stattdessen kann sie als eine gemeinsame Denkweise übernommen werden – verankert in Teamsitzungen, Check-Ins mit den Partnerorganisationen und den Austausch mit Einsatzleistenden. Den Mitgliedorganisationen von Unité bietet sich eine besondere Möglichkeit, dies zu fördern: Wenn die Vorbereitung der Fachpersonen eine grundlegende Sensibilisierung für den Nexus beinhaltet, können sie während ihres Einsatzes zur Förderung konfliktsensitiver Ansätze in der Partnerorganisation beitragen.

Diese Art des Situationsbewusstseins ist auch eine wichtige Voraussetzung für das, was ich als «Nexus-Denken» bezeichne: eine Möglichkeit, die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Akteuren und Massnahmen im gesamten Spektrum der Entwicklungszusammenarbeit, humanitären Hilfe und Friedensförderung im Auge zu behalten. Sie stärkt auch die Anerkennung und Wertschätzung von lokal geleisteten Beiträgen auf Mikroebene – von denen viele bedeutsam sind, aber derzeit nicht in den Rahmen der üblichen Berichterstattung fallen.

Welche Verbindung besteht zwischen dem Triple Nexus und der Lokalisierung der Entwicklungszusammenarbeit?

Beide Konzepte beruhen auf der Erkenntnis, dass Top-down-Massnahmen in langwierigen Krisensituationen unzureichend und oft sogar kontraproduktiv sind, insbesondere wenn humanitäre, Entwicklungs- und Friedensakteure gleichzeitig darin tätig sind, ohne sich untereinander zu koordinieren. Der Ansatz der Lokalisierung (in allen drei Sektoren) unterstreicht die zentrale Rolle der nationalen und regionalen Akteure bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen und der Gestaltung kontextspezifischer Massnahmen.

Je fragiler das Umfeld ist, desto wichtiger ist es, die Partnerorganisationen als souveräne Entscheidungsträger zu unterstützen, die in der Lage sind, die sich entwickelnde Dynamik zu bewältigen und ihre Strategien entsprechend anzupassen. Das «Nexus-Denken» verstärkt diese Entwicklung, indem es Zusammenarbeit, anpassungsfähige Programmplanung und langfristige Investitionen in lokale Kapazitäten fördert.

Obwohl beide Konzepte aus den multilateralen Bemühungen zur Steigerung der Effektivität und Effizienz der internationalen Unterstützung hervorgegangen sind – und daher manchmal als gebergesteuerter oder instrumentalisierter Jargon abgetan werden – zielen sie letztlich darauf ab, die lokale Eigenverantwortung zu fördern und die im Kontext verwurzelten Akteure und Interessengruppen zu stärken.

Die ganze Studie:

Navigating the Triple Nexus – Lessons and Insights from Across Unité’s Ecosystem (2024)
PDF 713.9 KB

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