« In zunehmend fragilen Kontexten sind wir auf das Wissen und die Erfahrung unserer Partner angewiesen»
Der Ruf nach einer stärker lokal verankerten Entwicklungszusammenarbeit ist in den vergangenen Jahren lauter geworden. Im Gespräch mit Unité plädieren Katharina Gfeller und Yakubu Joseph von Mission 21 dafür, dass NGOs globaler werden und den Partnern vor Ort mehr Entscheidungsmacht abgeben.

Dr. Yakubu Joseph arbeitet seit 2015 als Landeskoordinator für Nigeria bei Mission 21.1 Im Nordosten seiner Heimat leiden die Menschen unter der Gewalt durch die islamische Terrororganisation Boko Haram und ihre Splittergruppen. Mission 21 unterstützt die Betroffenen und engagiert sich in den Bereichen Bildung, Friedensförderung, Ernährungssouveränität, humanitäre Hilfe und Kapazitätsaufbau.

Joseph bezieht sich gerne auf den Friedensaktivisten Julius Nyerere, wenn er von Entwicklung spricht. «Es geht vor allem darum, Menschen zu befähigen, ihre eigenen Ziele zu verfolgen.» Dafür sei Vertrauen nötig und eine global gelebte Solidarität. «Wir sollten Mitgefühl füreinander aufbringen, voneinander lernen und uns als Teil derselben globalen Familie verstehen.» Das lineare Modell der Modernisierungstheorie, wonach sämtliche Staaten einer westlichen Vorstellung von «Entwicklung» folgen sollten, sei krachend gescheitert. «Die Menschen vor Ort kennen ihre Bedürfnisse und die Kontexte, in denen wir arbeiten, am besten. Deshalb schätzen und stärken wir lokales Wissen.» Das Team vor Ort besteht aus drei Nigerianerinnen und drei Nigerianern. Unterstützt werden sie durch eine Programmverantwortliche in Basel.
Kapazitäten vor Ort aufbauen
«In vielen Regionen, in welchen wir heute arbeiten, ist die Lage dermassen fragil, dass wir noch mehr als früher auf das Wissen und die Erfahrung von Menschen vor Ort angewiesen sind», sagt Katharina Gfeller, Abteilungsleiterin Internationale Beziehungen bei Mission 21. «Hinzu kommt, dass es heute einfacher ist, gut ausgebildete Mitarbeitende vor Ort zu finden. Es gibt oft keinen Grund mehr, dass Europäer und Europäerinnen diese Stellen besetzen.» Ein Fokus von Mission 21 sei seit jeher der Aufbau von Kapazitäten. In Indonesien zum Beispiel unterstützt die Organisation seit über 30 Jahren junge Menschen, darunter vor allem Frauen, mit Stipendien. «Viele stehen heute einer lokalen Kirche vor und unterstützen ihre Gemeinden vor Ort.»
Wichtiger wurde in den vergangenen Jahren die Süd-Süd-Kooperation. Zum Beispiel teilen Menschen in Nigeria, Kamerun und Ruanda ähnliche Krisenerfahrungen, geprägt von Gewalt gegen Frauen, religiösem Fundamentalismus und ethnischen Konflikten. «Wir tauschen uns regelmässig über Traumaheilung aus und darüber, wie die Resilienz von lokalen Gemeinschaften gestärkt werden kann», erzählt Joseph. Mittlerweile beschränkt sich diese Kooperation aber nicht nur auf benachbarte Länder. Joseph und Mitglieder von nigerianischen Partnerorganisationen besuchten Workshops in Indonesien, wo sie mit muslimischen Religionsführern und Aktivistinnen zusammengearbeitet haben. «Auch sie machen ähnliche Erfahrungen wie wir und engagieren sich gegen religiöse Radikalisierung und ethnische Konflikte.» Die Religion könne dabei über Konfessionen hinweg als Ressource für die Friedensarbeit genutzt werden, ist Joseph überzeugt.
Für ihn haben der Erfahrungsaustausch und eine starke lokale Verankerung der Unterstützung noch einen weiteren Vorteil: Nämlich, dass Programme selbst dann weiterlaufen, wenn sie nicht mehr von Geldge ber:innen aus dem Norden finanziert werden. «Wenn starke lokale Strukturen aufgebaut werden, verhindert dies Abhängigkeiten. Dann können sich die Projekte selbständig tragen und vor Ort nachneuen Ressourcen suchen.» Joseph ist auch ein starker Befürworter von sozialem Unternehmertum. Zum Beispiel hätten in Nigeria Frauen aus Entwicklungsprojekten heraus Kleinunternehmen gegründet, die heute erfolgreich wiederverwendbare Damenbinden und Stofftaschen herstellen.
Entscheidungskompetenzen an Partner abgeben
Katharina Gfeller negiert nicht, dass es bis heute ein Machtgefälle in der Nord-Süd-Zusammenarbeit gibt. «Mit Geld ist auch immer Macht verbunden», sagt sie. Bei Mission 21 habe man in den letzten Jahren aber bewusst versucht, die Entscheidungskompetenzen in die Partnerländer zu verlagern und das länderübergreifende Lernen zu fördern. Ressourcen würden zunehmend nicht mehr nach Ländern, sondern nach Themen zugewiesen. Darüber werde die «Ownership» in den Partnerländern sowie die Kontinuität der Aktivitäten gestärkt. Heute sei Mission 21 weniger Basel-zentriert und stärker global ausgerichtet, ist Gfeller überzeugt. «Wir haben organisatorische Diskussionen und Entscheidungsprozesse für unsere Partner geöffnet.»
Trotzdem bestehen auch bei Mission 21 bis heute hierarchische Ungleichheiten. Die siebenköpfige Geschäftsleitung besteht komplett aus Personen aus der Schweiz oder Deutschland, genauso wie die neun ehrenamtlich engagierten Vorstandsmitglieder. «Das muss sich in Zukunft ändern», sagt Gfeller. Der Druck dafür komme mittlerweile auch aus den eigenen Reihen im Norden. Junge Mitglieder hätten nämlich genau diesen Punkt an der letzten Synode im Juni kritisiert.
1] Mission 21 ist eine der vier «Faith based»-Mitgliedorganisationen von Unité, die für ihre Programme der Personellen Entwicklungszusammenarbeit einen Programmbeitrag der DEZA erhalten. Mission 21 ist assoziiertes Mitglied bei Unité und erhält ihren DEZA-Programmbeitrag über die Kooperationsgemeinschaft (KoGe).

