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Resiliente Gesundheitssysteme beginnen in den Gemeinschaften

Für Professor Vinh-Kim Nguyen ist es essenziell, Gesundheitsförderungsprogramme im Globalen Süden zu unterstützen. Nicht nur, weil Gesundheit ein Menschenrecht ist und die Gesundheitssysteme in der Lage sein müssen, die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, sondern auch, weil nur starke lokale Gesundheitssysteme unser globales Gesundheitssystem resilient genug machen, um künftige Bedrohungen wie Antibiotikaresistenzen oder Pandemien abzuwehren.

Sara Ryser
Ein Mitarbeiter des Roten Kreu­zes desinfiziert in Conakry die Handschuhe eines Kollegen mit einer Chlorlösung. Zwischen 2014 und 2016 gehörte Guinea zu den Ländern, die am stärksten vom Ebola-Ausbruch betroffen waren. Foto: UN Photo/Martine Perret

Professor Vinh-Kim Nguyen ist Arzt und Medizinanthropologe, der seit Jahrzehnten an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Praxis der globalen Gesundheit tätig ist. Im folgenden Interview erläutert er, warum bei Gesundheitsmassnahmen das Engagement der Gemeinschaft und der Aufbau von Vertrauen im Vordergrund stehen müssen.

Welche Rolle spielen Gesundheits­förderungsprogramme in der Entwicklungszusammenarbeit und warum sind sie wichtig?

Prof. Vinh-­Kim Nguyen: Der Hauptgrund ist, dass es die Menschen reicher macht, wenn sie gesund bleiben. Sie können arbeiten und zur Wirtschaftsleistung beitragen. Es ist viel günstiger, Menschen gesund zu halten, als sie wieder gesund zu machen, wenn sie krank werden. In Entwicklungsländern sind die Gesundheitsversorgung und sozialen Sicherheitsnetze oft unzureichend, was eine Krankheit-Armuts-Falle zur Folge hat. Wenn Menschen krank werden, müssen sie Arztrechnungen bezahlen, während sie weniger oder gar kein Einkommen haben, weil sie nicht arbeiten können. Eine einzige Krankheit kann darüber entscheiden, ob man gerade noch über die Runden kommt oder in die Armut abrutscht.

Warum ist es wichtig, in die globale Gesundheit zu investieren?

Die grösste und unmittelbarste Sorge ist, dass eine Bevölkerung, die nicht in lokale Gesundheitssysteme investiert, unter den wirtschaftlichen und politischen Folgen leidet, die sich daraus ergeben, dass es den Menschen nicht gut geht – sie können zum Beispiel weniger gut arbeiten. Auf globaler Ebene sind schlecht funktionierende Gesundheitssysteme nicht in der Lage, die Ausbreitung von Infektionskrankheiten zu verhindern. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass sich beispielsweise Antibiotikaresistenzen entwickeln und ausbreiten oder dass Epidemien zu Pandemien werden. Eine weitere Folge, über die viel weniger gesprochen wird, die aber sehr wichtig ist, besteht darin, dass in Gebieten, in denen der Staat nicht in der Lage ist, grundlegende Sozial- und Gesundheitsdienste bereitzustellen, andere Akteure diese Rolle übernehmen, was zu einer Politisierung führt. Denken Sie zum Beispiel an die Muslimbruderschaft in Ägypten oder die Hisbollah im Libanon. Die Loyalität der Menschen wird verständlicherweise bei jenen liegen, die ihnen helfen, und nicht bei denen, die es nicht tun.

Professor Vinh-Kim Nguyen
Der Arzt und Medizinanthropologe Vinh-Kim Nguyen ist derzeit Professor für Anthropologie am Graduate Institute in Genf. Seit über dreissig Jahren forscht er an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Politik und Praxis der globalen Gesundheit. Foto: Graduate Institute

Hier setzen auch NGOs an. Welche Fakto­ren sollten sie bei der Planung und Durchführung ihrer Gesundheitsförde­rungsprogramme berücksichtigen?

Erstens sollten alle Gesundheitsförderungsprogramme im Einklang mit der Ottawa-Charta und den darin definierten fünf Grundpfeilern einer wirksamen Gesundheitsförderung erfolgen. Die Charta wurde 1986 von der WHO verabschiedet, bleibt aber bis heute relevant. Der zweite un abdingbare Faktor – und das gilt nicht nur, aber vor allem für Gesundheitsprogramme – ist das Engagement der betroffenen Gemeinschaft, um deren Prioritäten festzulegen und die Ownership von Anfang bis Ende sicherzustellen. Andernfalls werden sich die Menschen nicht beteiligen und die Intervention wird nicht funktionieren. Drittens ist auch der nachhaltige politische Wille der Regierung wichtig. Die Menschen müssen merken, dass sich der Staat wirklich um ihre Gesundheit kümmert und dass sie sich auf die bereitgestellten Informationen und die Unterstützung verlassen können. Schliesslich kann die öffentliche Gesundheit ohne Vertrauen nicht funktionieren, das sich nur langsam aufbaut, aber sehr schnell verloren gehen kann. Die Kurzfristigkeit von Entwicklungsprojekten kann dies erschweren, da Programme – und Menschen – in der Regel alle paar Jahre rotieren.

Wie kann man Menschen davon abhalten, sich riskant zu verhalten, um die Ausbreitung von ansteckenden oder nicht übertragbaren Krankheiten zu verhindern?

Mir ist wichtig zu betonen, dass die meisten Menschen sich nicht einfach dazu entscheiden, sich riskant zu verhalten. Niemand entscheidet sich dafür, krank zu werden. Menschliches Verhalten resultiert aus einer ganzen Reihe von strukturellen Faktoren. Sicher können wir mehr in Bildung oder Sensibilisierungskampagnen über Gesundheitsrisiken investieren oder riskante Verhaltensweisen wie das Rauchen besteuern. Wir müssen uns aber bewusst sein, dass die Fähigkeit der Menschen, ihr Verhalten zu ändern, viel stärker vom Kontext, in dem sie leben und den ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen beeinflusst wird als von bewussten Entscheidungen.

Können Sie ein Beispiel für ein erfolgrei­ches Gesundheitsförderungsprogramm nennen oder eines, das Sie als gescheitert ansehen würden?

Eine erfolgreiche Intervention war zum Beispiel das Modell des gemeinschaftlichen Engagements bei der Bekämpfung von HIV. Die betroffenen Gemeinschaften spielten eine aktive Rolle bei der Gestaltung und Umsetzung von Präventions- und Behandlungsprogrammen. Zudem konzentrierten sich die Massnahmen darauf, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist, und legten den Schwerpunkt auf den Abbau von Stigmatisierung und Diskriminierung. Dies ermutigte Einzelpersonen, sich testen und behandeln zu lassen, ohne soziale Konsequenzen befürchten zu müssen. Sehr gezielte Massnahmen wie die Ausrottung der Guineawurm-Krankheit können ebenfalls erfolgreich sein, da sie den politischen Willen oft länger aufrechterhalten können als andere Gesundheitsprobleme. Eindeutig gescheitert war die Ebola-Bekämpfung in Guinea, Liberia und Sierra Leone im Jahr 2014 und in der Demokratischen Republik Kongo im Jahr 2018, da keine Zeit blieb, Vertrauen aufzubauen. In der Demokratischen Republik Kongo wurde die Bekämpfung sogar militarisiert. Am Ende brannte sich die Epidemie einfach aus.

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