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Steigende Armut, Hunger und Fragilität

Zum ersten Mal seit einer Generation nehmen Armut und Hunger weltweit wieder zu. Um die Ziele der Agenda 2030 doch noch zu erreichen, muss die internationale Gemeinschaft jetzt dringend entschlossen handeln.

Sara Ryser
Foto: Die Partnerorganisationen von Mission 21 schulen in Nigeria Kleinbauern und -bäuerinnen in Umweltschutz und nachhaltiger Landwirtschaft. Manchmal müssen aufgrund der Nahrungsmittelknappheit aber auch Lebensmittel verteilt werden, wie hier im Rahmen des humanitären Projekts einer Partnerorganisation von Mission 21.

Im September 2019 erklärte die UNO die verbleibende Zeit bis 2030 zur Decade of Action und warnte, dass «2020 ein Jahrzehnt ehrgeiziger Massnahmen einleiten muss, um die nachhaltigen Entwicklungsziele bis 2030 zu erreichen». Doch statt Fortschritte zur Erreichung der Agenda 2030 zu machen, entfernt sich die Welt seither weiter davon weg.

Die Covid-19-Pandemie hat die grösste globale Wirtschaftskrise seit über einem Jahrhundert ausgelöst. Zum ersten Mal seit einer Generation hat die weltweite Armut wieder zugenommen; 93 Millionen Menschen wurden zusätzlich in die extreme Armut gedrängt. Die Weltbank schätzt, dass derzeit etwa 719 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze von 2,15 US-Dollars pro Tag leben. Darüber hinaus führten unverhältnismässige Einkommensverluste bei benachteiligten Bevölkerungsgruppen zu einem drastischen Anstieg der Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass die Erholung von der Krise ebenso ungleichmässig verlaufen wird. Ausgerechnet jetzt, als dieser plötzliche Rückschritt bei der Armutsbekämpfung allein schon die Umsetzung der Agenda 2030 gefährdet, steht die Welt vor einer neuen Nahrungsmittelkrise.

Illustration: 2021 waren weltweit zwischen 702 und 828 Millionen Menschen von Hunger betroffen. Unter Berücksichtigung der mittleren Spanne (768 Millionen) litten im Jahr 2021 46 Millionen Menschen mehr an Hunger als im Jahr 2020 und insgesamt 150 Millionen Menschen mehr als 2019 vor der Covid­19 Pandemie.

Die schlimmste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg

Die Zahl der hungernden und mangelernährten Menschen ging bis 2015 stetig ein bisschen zurück, stagnierte dann für ein paar Jahre und stieg 2020 stark an. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass 2021 bis zu 828 Millionen Menschen Hunger leiden mussten – das sind 150 Millionen mehr seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie und fast 10 Prozent der Weltbevölkerung. Zusätzlich zur anhaltenden Dürre am Horn von Afrika (in Somalia ist zum vierten Mal in Folge die Regenzeit ausgefallen!) führen die durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Unterbrechungen der weltweiten Nahrungsmittelversorgung und die steigenden Lebensmittelpreise zu einer drastischen Verschärfung der Hungerkrise. Gemäss dem neusten Bericht des Welternährungsprogramms und der FAO sind derzeit bis zu 222 Millionen Menschen in 53 Ländern von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen und 970 000 Menschen drohen in den nächsten Monaten zu verhungern, wenn keine Massnahmen ergriffen werden. Derweil sind nicht einmal 10 Prozent der Finanzierungsanträge der UNO zur Hungerbekämpfung gedeckt.

Den Teufelskreis durchbrechen

Eine Entspannung ist in der aktuellen Wirtschaftslage mit der drohenden Rezession und steigenden Inflation erst einmal nicht zu erwarten. Vielmehr werden die immer stärker spürbaren Folgen der Klimaerwärmung in Form von langen Dürreperioden und Flutkatastrophen die Armutssituation und Hungerkrise in den Ländern des Globalen Südens weiter verschärfen. Die Zunahme von Armut und Hunger bedeutet aber auch eine steigende Fragilität und Krisenanfälligkeit vieler Länder. Es ist höchste Zeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen und zurück auf den Weg zur Erreichung der nachhaltigen Entwicklungsziele zu finden. Die internationale Gemeinschaft muss sich den mit der Verabschiedung der Agenda 2030 gemachten Versprechen wieder bewusst werden und die notwendigen Ressourcen für die Umsetzung der 17 Ziele bereitstellen. Die bittere Realität erinnert uns daran, dass wir die Vision der Agenda 2030 nicht aus den Augen verlieren dürfen.

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